Eins hat doch einen Bauch. So einige Leute haben keinen, keinen wirklichen, manche haben sogar an der Stelle nur ein Loch, das begrenzt wird von Hüftknochen und Rippenbogen, doch einige Wesen haben tatsächlich etwas Reinkneifwürdiges, sowas ziemlich menschliches, womit unser Organismus etwaige plötzliche Mammutflauten zu kompensieren versucht. Andere haben viel Bauch.

Nützlich kann er doch sein: Manchmal spricht er zu einem, flüstert einem Dinge zu. Brummelt unverständliche Worte, die nur für einen selbst, den exklusiven Besitzer dieses Bauchs, gedacht sein können, spricht für die Seele. Bauchweh vor Prüfungen, Übelkeit nach Streits. Das Gefühl, aufzustehen und etwas vollkommen absurdes frühstücken zu wollen. Auf dem Rücken liegen und mit dem Bauch gluckern, einige können das.

Es gibt in meiner Erfahrungswelt nichts, was derartig spannungsbeladen ist wie der Bauch, kein anderer Teil des Körpers. Eine Zeit lang brachte mich gesellschaftlicher und medialer Input dazu, Brüste überzubewerten und darunter zu leiden, kleine zu haben. Diese Unzufriedenheit wurde nahtlos abgelöst von dem krampfhaften Gefühl, allgemein zuviel zu sein, und allem voran war hier der Bauch das Schlachtfeld, auf dem alle Kämpfe ausgetragen wurden. Er war (und ist) omnipräsent, er schafft es, alle Gedanken auf sich zu ziehen. Ich habe ihn mit einem rot-weißen Flatterband absperren wollen wie eine Unfallstelle, doch auch das hätte nichts an seiner Existenz geändert. Zentrum allen Hasses und ebenso allen Wollens war immer diese unvermeidliche Körpermitte, von der alles andere abzweigt, was mir eventuell gefallen könnte (meine Ellbogen und meine Füße und der Körperteil, an dem meine knubbeligen kleinen Ohren festgewachsen sind).

Der Anblick von Bäuchen auf Plakaten und in Filmen erfüllt mich noch immer mit Wut. War es früher eine, die sich aus Neid und Selbsthass speiste (bei gleichzeitigem Bewusstsein über die Absurdität solcher Körper, die niemals auch nur eine klitzekleine Mammutflaute überstanden hätten), ist heute eigentlich nur noch Wut über die Absurdität an sich geblieben. Die Zurschaustellung von etwas so Intimem. Etwas, das den Großteil unserer inneren Organe beinhaltet, unser enterisches Nervensystem, und so viele unserer Körperfunktionen regelt…Nach meinem Selbstgefühl sollte so etwas als unglaublich verletzlich eingestuft werden. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlen muss, wenn eins ein Model ist und der eigene Bauch so ein Produkt ist, das vermarktet werden und deswegen immer gut in Schuss sein muss, immer bereit, gezeigt zu werden. Zu wissen, dass der eigene Bauch (in Kombination mit Photoshop-Fähigkeiten) so eine Zielfläche wird für die Verzweiflung anderer Menschen…Ob berühmte Frauen, die sehr viel trainieren, um für ihren schönen bauch bezahlt zu werden, an so etwas denken? (Da ich eine Frau bin, weiß ich nicht, wie es sich für Männer anfühlt, die durchschnittlich seltener ihren Oberkörper verhüllen und ein anderes Körpergefühl vermittelt bekommen.)

Eine Zeitlang fuhr ich halbwegs gut damit, meinen Bauch vollkommen zu ignorieren, ihn nicht zu berühren, nicht anzusehen, so zu tun, als ob er nicht da wäre. Als sei er eine leere Stelle in meinem Körper, denn leere Stellen können weder dick noch dünn sein noch etwas dazwischen. Das war ein wenig schwierig in der konsequenten Handhabung, doch ein sicheres Mittel, um Grübeleien und eventuelle Rückfälle zu vermeiden; etwas, das ignoriert wird, kann keinen Hass auf sich ziehen und somit auch keine wilden Diätpläne.

Dann besserte sich auch das, mein Bauch darf inzwischen nach dem Essen vorgewölbt sein und die Essensmenge hängt nicht nur vom Völlegefühl ab. Hunger ist ja nichts, was im Bauch stattfindet, sondern viel mehr im Kopf, auch Teetrinken füllt den Magen, aber nicht mich selbst als Ganzes. Wie dumm konnte ich sein, das so lange zu übersehen? Wie dumm bin ich noch immer, die Rudimente dieser Muster nicht vollständig ablegen zu können und mich zu befreien aus dem Zwang des Dünnseins? Ist das wirklich nur die Verknüpfung mit dem Selbstwertgefühl (das „Ich-will-weg-sein-oder-zumindest-so-gut-wie-möglich“), oder hängen daran noch mehr Mechanismen, die durch lebenslange Erziehung unlösbar in meinem Kopf verankert sind? Wie sehr brauche ich das Gefühl eines vorzeigbaren Körpers, um mich auch als vorzeigbarer Mensch zu fühlen, einfach nur, weil es mir dieses Schema von allen Seiten entgegenschlägt? All das sind Dinge, die ich für mich selbst nicht lösen kann und die auch meine Therapie nicht lösen konnte.

Inzwischen bin ich bei einer sehr dekonstruktivistischen Variante angekommen, die sämtliche Körperlichkeit in den Hintergrund schiebt. Noch immer scheint das nicht die Ideallösung zu sein, denn ich stelle fest, dass ich noch immer mehr über mein Äußeres wahrgenommen werde, als ich in meiner Naivität erwarte. Hierbei spielt weniger die Statur als die Kleidung eine Rolle, doch auch die Kleidungswahl fällt schwer und bleibt somit immer auf standardisierten, alten Anziehsachen hängen. Neue einzukaufen, würde zwangsläufig eine erneute Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper bedeuten.

Ich weiß nicht, inwieweit meine genetische Weiblichkeit und meine Körperlichkeit zusammenhängen und ob der Versuch, beides in den Hintergrund zu stellen, irgendeine Art von Erfolg mit sich bringen wird. Eines scheint es jedoch zu bewirken: Ich beginne mehr Dinge, tue Neues, weil weniger gedankliche Barrieren existieren und weniger Kraft und Energie für Grübeleien draufgehen. Somit ist mein Körper, mein Bauch noch lange keine frisch asphaltierte und hübsche Straße, sondern vielmehr eine stillgelegte Baustelle, aber stattdessen pflanze ich in der Zwischenzeit am Wegesrand Blümchen.