Also, um es noch ein weiteres Mal zu erwähnen: Ich habe hier ja diesen Körper… Was das für ein Unfall war, ist mir noch immer nicht ganz klar, aber gut. Ich habe ein wenig geschrieben zu Dankbarkeit ihm gegenüber, über Hass sowieso. Hass aber eigentlich immer nur auf seine Form, seine Beschaffenheit und Struktur, ja, mir wurde von vielen Seiten beigebracht, was ich alles an ihm auszusetzen habe(-n kann). Den Körper, den stört das alles überhaupt nicht, der sitzt herum, schläft (zu viel), geht die Straße entlang und manchmal knackt er oder äußert ein Grummeln aus der Abdominalgegend.

Was alles nicht stimmen kann, ist mir zu einigen Teilen bewusst. Mich könnte eine Arteriosklerose ereilen, oder eine Artherosklerose  (das sind zwei verschiedene Dinge, glücklicherweise hat bisher niemand gemerkt, dass ich den Unterschied nicht benennen kann), dann hätte ich dicke Plaques an meinen Gefäßwänden, voller Schaumzellen und sonstigem Müll, und irgendwann würde eine dieser körpereigenen Abfalldeponien rupturieren und wir hätten den Salat. Also, mein Gefäßsystem und ich. Vermutlich würde das Ganze zu einem Herzinfarkt führen, im ungünstigeren Fall vielleicht zu einem Schlaganfall…und ich läge herum (bzw., mein Körper läge herum, denn vom natürlichen Pessimismus ausgehend wäre da nicht mehr viel „ich“ übrig hinter dem ganzen Sabber), und die Kühe und Schweine, Hühner, Kälbchen und Enten würden mich auslachen und es als ihre Rache verstehen für all ihre Artgenossen, die ich gefressen habe.

Nun fehlen da zwei Details: Erstmal fresse ich keine Artgenossen und auch keine Nachbararten, und zweitens sind Tiere, glaube ich, nicht so konzipiert, dass sie Dinge wie Schadenfreude oder Freude an gewollter Grausamkeit empfinden und somit auch niemand auslachen würden, egal, was diese Person ihnen oder anderen angetan hätte.

Wenn mir etwas fehlt, dann lachen meistens nur die Menschen. Oder sie sind sehr besorgt. „Siehst du, das liegt an deiner komischen Ernährung. Dir fehlen Vitamine, und Mineralstoffe…“

„Nein!“, sage ich dann. „Ich bin immer so! Das hat damit gaaar nichts zu tun!“

Was aber gelogen ist. Es hat, zumindest bei mir, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit etwas damit zu tun, denn ich bin dauernd hypoton und dauernd anämisch. Mein Körper könnte irgendwie bessere Leistungen erbringen, und sicher wäre es auch irgendwie möglich, wieder einen Zustand zu erlangen, in dem ich aufstehe und mir keine Gedanken darum machen muss, in wie vielen Sekunden ich einen Gegenstand zum Festhalten erreichen sollte, um die Schwindelsekunden unbeschadet vorbeizubringen. Das war zwar schon immer so, aber nicht auf einem derartigen Niveau. Natürlich könnte ich daran etwas ändern, ich könnte anfangen, tierische Produkte zu essen, mehr zu trinken, ich könnte konsequenter mit Eisen etc. substituieren oder mich körperlich mehr betätigen. Ich könnte natürlich auch aufhören, Blutspenden zu gehen, und (was aber sehr viel unwichtiger ist) eine Hormontherapie anstreben, die die Menstruation unterdrückt.

Ich habe ein wahrscheinlich sehr geringes Risiko von Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber ich habe dennoch keinen perfekten, fitten Körper. Wenn es daraum geht, Treppen hochzukommen, bin ich genauso am Japsen wie ein Mensch mit Übergewicht oder notorische Raucher_innen. Natürlich klingt Blutarmut da irgendwie cooler als die typischen „Wohlstandskrankheiten“, die meist nicht so attraktiv wirken. (Nehmen wir zum Beispiel das Wort „herzkrank“ – die erste Assoziation sind meistens Kinder, die mit einem Herzfehler geboren wurden und deswegen im zarten Alter schlimme Operationen erleben, weshalb sie großäugig auf Werbeplakaten von Hilfsorganisationen zu sehen sind… weniger die Endsechzigerin, die aufgrund chronisch zu hoher Blutfettwerte und Bluthochdruck zwei Herzinfarkte hatte und jetzt hechelnd im Bett liegt, weiterhin adipös.)

Dennoch scheinen viele Menschen von mir zu erwarten, dass ich einen perfekten Körper zu präsentieren habe. Gesund und proper, so wie die Aushängeschilder von „Vegan Bodybuildung & Fitness“, und immer mit gesunden, selbstgekochtem Essen gefüttert (Danke, Attila Hildmann, dass du die Erwartungen so hoch ansetzt!), ganz wunderbar. Oftmals bin ich gewillt, zu lügen, was das angeht, um dumme Fragen zu vermeiden, alles als ganz problemlos darzustellen. Mit wie vielen Floskeln habe ich schon um mich gehauen, weniger, um Werbung für Veganismus zu machen, als (oftmals) aus Gründen der Rechtfertigung. Während fleischfressende junge Frauen in meinem Jahrgang herumlaufen und allen erzählen, wie niedrig denn ihre Eisenwerte seien, würde ich den Teufel tun, so etwas auch nur zu erwähnen.

Ich bin Veganerin, und nein, ich bin nicht perfekt. Ich bin relativ dünn, was ich aber auch schon vor Veganerzeiten war, aber…oh Schreck! Das Kind ist auch noch essgestört!

Nun wird jedem sofort alles klar. Sie macht das gar nicht aus ethischen Gründen, sie versteckt dahinter nur ihre „Magersucht“ (die keine ist), um sich so vor fetthaltigen Lebensmitteln zu drücken und immer für sich alleine essen zu können…Falls ihr dabei versehentlich ein bisschen Tierliebe untergekommen ist, was das nur ein versehentlicher Nebeneffekt. (Blick meiner Therapeutin, als sie sagte, wenn ich das mit dem Essen „in den Griff“ bekommen wolle, müsse ich aber auch die Nahrungsauswahl „etwas lockerer“ angehen; fehlte nur noch, dass sie mir eine bestimmte Sorte Mortadella empfohlen hätte…) Das Kind benutzt den Veganismus für ihre eigenen, selbstsüchtigen Interessen. Somit ist sämtliche Art von Vorbildfunktion für andere völlig ruiniert.

Aufschrei, wenn eine (von einem Vegetarier organisierte) Studie zu dem Ergebnis kommt, dass prozentual mehr Vegetarier_innen essgestört sind als der Anteil in der restlichen Bevölkerung. „Natürlich“, schreien sie alle, „Vegetarismus führt zu Essstörungen!“ Oder umgekehrt: „Nur wegen ihrer Essstörung essen sie vegetarisch!“ Natürlich hat das alles gar nichts mit allgemein höherer Sensibilität zu tun, die insbesondere Menschen mit depressiven Erkrankungen bezüglich ihrer Umwelt entwickeln und die sie dazu bringen kann, sich Gedanken über die Auswirkungen ihres Essverhaltens zu machen…und eben eventuell Vegetarier_innen zu werden. Eine Sensibilität, die den meisten selbszufriedenen und vom Leben bekräftigten Menschen oftmals abzugehen scheint.

Ich würde gerne herumlaufen und allen erzählen, wie schlecht meine Eisenwerte sind, und wie niedrig mein Hämoglobin, ebenso mein Blutdruck, wie wenig Muskelmasse ich am Körper habe, wie ungleich das Verhältnis meiner Kohlenhydrat- im Vergleich zur Eiweißaufnahme ist… Und dann würde ich laut sagen: Aber ich will trotzdem lieber so leben (nämlich nicht kraftstrotzend), als alternativ Tiere und Tierprodukte in mich hineinzustopfen. Das Zeitalter der Holzfäller ist vorbei. Es wäre also an der Zeit, auch die Holzfällersteaks abzuschaffen.